Kennen Sie eigentlich Hiram Bingham? In seiner Jugend war er ein guter Football Spieler. Später studierte er lateinamerikanische Geschichte an den amerikanischen Top-Unis und war Professor in Harvard, Yale und Princeton. Er heiratete die Erbin von Tiffanys, hatte sieben Kinder, war Offizier und Angeordneter zum Senat.
In Erinnerung geblieben ist er aber durch zwei Dinge. Er hat Machu Picchu (wieder) entdeckt und Georg Lucas produzierte mit Steven Spielberg die Indiana Jones Trilogie nach seinem Vorbild.
Harrison Ford als Indy Jones und Hiram Bingham III.
Nichts was er tat war perfekt, effizient oder gar besonders zielgerichtet. Im Gegenteil:
beschreibt ihn Richard Cavendish in History Today wenig schmeichelhaft. Es dürfte ihm egal gewesen sein. Bingham gehörte zu einer Generation von Archäologen, die erstens „fachfremd“ waren und zweitens von Neugier, Geltungsdrang und Abenteuerlust getrieben waren. Fallen ihnen die Parallelen zu Big-Data Ansätzen wie jenem auf?
„Gehen Sie raus, sammeln Sie ein paar Daten und schauen Sie dann, was man damit machen kann!“
Das ist im wesentlich bis heute so geblieben. Generationen von Architekten haben sich auf Basis von einzelnen Karten, Überlieferungen und Erzählungen ortsansässiger Nomaden und Bauern auf die Suche gemacht und mit zunehmender Erfahrung und einer systematischer Erfassung der Funde langsam ein gesamtes Bild entwickelt aus dem sie immer weitere Puzzlestücke ihrer Ausgrabungsstätten gefunden und freigelegt haben.
Ein größeres Puzzle.
Seit rund 30 Jahren bemüht sich die Archäologen-Zunft um eine stärker naturwissenschaftliche fundierte Ausrichtung ihres Strebens.
Erst mit der Nutzung von GIS-Daten Anfang der 90er Jahre, Methoden der Regionalanalyse Anfang der 2000er Jahre und nun von Open- und Big-Data Ansätzen kommt Bewegung in die Sache
Die Archäologie arbeitet nämlich immer noch weitgehend analog und in kleinen, individuellen Teams. Moderne IT-Methoden wie Automatisierung der Analyse von Textquellen oder Mustererkennung in der Regionalanalyse und vor allem vernetztes Arbeiten können ambitionierte Forscher wie z. B. Sarah Parcak die Forschung schnell auf ein neues, viel höheres Niveau heben.
Was Sarah Parcak macht möchte ich kurz vorstellen. Sie nutzt bereits digitale Tools um effizienter und schneller arbeiten zu können. Das ist Digitalisierung 1.0. Quasi der PC im Büro anstelle der Schreibmaschine. Wer ist aber nun Sarah (Bild unten bei Ted Talks)?
Sarah ist Professorin für Anthropologie an der Universität von Alabama in Birmingham, USA und Leiterin des Universitätslabors für globale Gesundheitsbeobachtung und leitet das „Middle Egypt Survey Project“ in Ägypten.
Die online Plattform für inspirierende Reden, TED, beschreibt sie so:
Im Gegensatz zu Indy-Jones ist sie weiblich, jung und hat die Segnungen digitaler Technologien perfekt für Ihre Zwecke eingesetzt. Die Chancen stehen damit gut, dass noch in diesem Jahrhundert alle verschollenen Kulturen entdeckt werden können.
Warum dies auch für uns wichtig sein wird beschreibt Sarah so:
„Only 1/100th of one percent of archaeological sites in Egypt have been discovered. Our entire understanding of Egyptian history is based on these few discoveries. What we [Egyptologists] have discovered so far is just the tip of the iceberg.“
Damit arbeiten wir auch gegen die Zeit, weil alleine in Ägypten bereits rund ein Viertel der antiken Stätten in den letzten Jahrzehnten durch „urban sprawl“ und Plünderung verschwunden sind.
Was hat Sarah bereits entdeckt? Was kommt noch auf uns zu?
Satellitenbilder von Dashur vor und nach der Bildbearbeitung als Basis für Parcaks Arbeit (2003).
Mit Ihrer neu entwickelten Methode entdeckte Sie 2003 in nur wenigen Wochen, anstatt von bisher Jahren, eine antike Stadt im East Delta, ein antikes Kloster aus der Zeit von 400 v. Chr. und eine weitere vergrabene Stadt im East Delta aus der Zeit von 600 vor Christus.
Alleine in Ägypten hat so sie 17 Pyramiden, 3.000 Siedlungen und 1.000 Gräber gefunden, will man TED glauben schenken. Das tun allerdings nicht alle. Der Minister of State for Antiquities, Zahi Hawass,äußerte sich kritisch: „This is completely wrong information. Any archeologist will deny this completely„. Wie auch immer.
Womit arbeitet Sarah?
Fragen wir nochmal TED:
As a space archaeologist, she analyzes infrared imagery collected from far above the Earth’s surface and identifies subtle changes that signal a manmade presence hidden from view.
Wie das genau geht hat sie in ihrem Buch: „Satellite Remote Sensing for Archaeology (Link zu Full Text) beschrieben“. Sie greift dabei auf einen (sinngemäßen) Grundsatz der Management-Kybernetik zurück auf den mich vor langer Zeit Maria Pruckner aufmerksam gemacht hat: „Information ist ein Unterschied der irgendwann einen Unterschied macht“.
Sie arbeitet dabei mit dem Spektrum des Lichts, das vom Menschen nur in einem sehr engen und begrenzten Spektrum wahrgenommen werden kann. Mit unterschiedlichen Techniken, wie der Satelllitenbildinterpretation, mit GIS-unterstützer Landschaftsinterpretation oder Infrarotbildern, können nun sichtbare und – für den Menschen – unsichtbare – Informationen zusammengebracht werden. Damit können mögliche Fundstellen schneller gefunden werden. Weiter will sie nicht gehen.
In ihrem Buch schreibt sie:
„Thus, there is no „one size fits all“ for remote sensing techniques in archaeology, and there can never be any „automatic“ feature extraction in archaeological remote sensing.“
Bei aller Wertschätzung der Archäologie und individueller Erfahrung. Ich denke es fehlt hier einfach an methodischen Zugängen die Welt mit Algorithmen und Datenstrukturen zu erforschen.
Andy Murdock hat diese Zugänge. Er öffnet der Archäologie die Möglichkeiten der Digitalisierung 2.0. Welche sind dies nun und auf was dürfen wir hoffen?
Was kann nun Digtalisierung 2.0 beitragen?
Dieser Satz fasst im Wesentlichen zusammen, was Kant festgestellt hat und den Primat der Naturwissenschaft begründet hat.
Forschung, auch Archäologie, funktioniert nämlich so, dass man eine Vorstellung davon hat, wie die Welt funktioniert.
Kann man diese Vorstellung z.B. als Modell (siehe oben) oder Gesetz formulieren (bei Kant: reine Vernunft), dann beginnt die Suche, bis der Zusammenhang durch Erfahrung bestätigt ist (bei Kant: praktische Vernunft) oder eben nicht (Falsifizierung, z.B. Popper), wie der Pisener Archäologe Gabriele Gattilia in seinem paper: „Pisa in the middle ages“ ausführt:
Nicht mehr nur zufällige Informationen, Vermuten und ausprobieren bzw. das Nutzen von selektiven Quellen bestimmt dann über Erfolg und Misserfolg. So wie in der Medizin kommt vor der Behandlung eine gründliche und vielleicht standardisierte Analyse und Anamnese auf dem Boden naturwissenschaftlicher Methoden und offener, vernetzter Datenquellen.
Der Anstoß für ein komplett neues Vorgehen kommt dabei von außen, dem freien Markt.
Digital new world
Democrata, ein vormaliges Startup, hat das z.B. das UK komplett beflogen und 3-D vermessen, wie das Engineering and Technology Magazine (E&T) erläutert.
Der Anlass dafür liegt aber nicht in archäologischen Interessen begründet, sondern im Risikomanagement von Bauunternehmen.
Befor any big construction project starts, or a major road or rail line is cut through the British countryside, there needs to be an archaeological investigation to ensure that historic sites are not destroyed. This can cost a company substantial amounts of money and add long delays in construction time.
Democrata ist also ein klassisches Unternehmen der sharing economy. Es nutzt offene Daten, die mit öffentlichen Geldern aufbereitet und von öffentlichen Stellen dauerhaft zur Verfügung gestellt werden.
Eine klassische win/win Situation, bei der Staat und Privat jeweils ihre Stärken einbringen können.
Die Archäologie kann quasi als Abfallprodukt des unternehmerischen Risikomanagements neue Wege gehen, die breiter und sicherer sind als die alten.
Welche Fragen bleiben offen?
Einige Fragen bleiben dabei offen denen wir am Weg zu einer Archäologie 2.0 unsere volle Aufmerksamkeit schenken müssen.
1. Gibt es Hinweise darauf, dass die Vision einer vernetzten, digitalen, Big Data basierten Archäologie überhaupt realistisch ist? Skepsis ist geboten.
2. So zeigt eine Analyse der Nutzungszahlen physischer und webbasierter Archive in England, dass beide kaum genutzt werden, was zumindest im zweiten Fall auf ein kulturelles Problem schließen lässt, nämlich eine IT-averse Ausbildung der Archäologen.
3. Wem gehören die Daten?: Werden die so gefundenen Daten offen zur Verfügung stehen oder werden sie in traditionellen Portalen verschwinden?
4. Wer stellt die Infrastruktur für die Datenhaltung und -bereitstellung zur Verfügung?
5. Wer wird diese enormen Mengen an offenen Daten zusammenführen und für ihre Aktualität, Integrität und Konsistenz sorgen?
6. Das Ende der exakten Wissenschaft der Theoreme: BigData basierte Archäologie wird mit vielen unstrukturierten, auch bislang privaten Daten arbeiten müssen. Bedeutet das eine Transformation in Richtung evidenzbasierte Wissenschaft und eine Absage an exakte Theoreme samt logischem Beweis? Nicht zwingend, wie wir gesehen haben.
7. Zuletzt kann Digitalisierung auch helfen, das Identifikationsproblem zu lösen. Eine Blockchain wie sie im Buch Breaking van Gogh als Unterstützung zur Verringerung des rund 200 Mrd. USD schweren Kunstraubs und illegalen Kunsthandels vorgeschlagen wird, kann auch für antike Kulturgüter Anwendung finden.
Sie könnte überdies den Status der Archäologie eindeutig und tagesaktuell klären helfen. Ist dies technisch logistisch möglich? Wer setzt dies auf? Das riecht nach Staat, falls nicht Google&Co vorher ihre Claims abstecken.
In Folge könnte das bestehende Wissen der Archäologie systematisch- etwa mit AI-Unterstützung neu erarbeitet und bewertet werden, wie dies Eric A. Powell am Beispiel mexikanischer Siedlungen getan hat. Konkret hat er aus archäologischen Daten die Siedlungsdichten recht präzise er- und hochgerechnet und Parallelen zur heutigen urban sprawl Problematik gefunden.
Die Möglichkeiten sind also fast grenzenlos. Eine neue Ära der Archäologie mit besseren Daten beginnt. Indy Jones hat das immer schon gewusst:
„Archäologie ist die Suche nach Fakten. Nicht nach der Wahrheit. Wenn Sie an der Wahrheit interessiert sind, Dr. Tyries Philosophiekurs ist am Ende des Ganges. Also vergessen Sie diese Geschichten von verborgenen Städten und die Welt umzugraben. Wir folgen keinen alten Karten, entdecken keine vermissten Schätze und noch nie hat ein X irgendwann irgendwo einen bedeutenden Punkt markiert.“