Lessons learnt vom Fahrwegkongress der ÖVG – Was die Eisenbahn-Infrabranche 2023 bewegt hat. Meine Eindrücke, Schlussfolgerungen und Ausblicke auf das kommende Jahrzehnt.




Ich war lange nicht mehr auf einem Kongress. Daran war zum Teil Corona schuld. Ich konnte aber auch einige Jahre wenig inhaltliche Fortschritte sehen. Präventive Instandhaltung, ein wenig Digitalisierung, die immer gleichen Großprojekte.
Heuer war das aber völlig anders. Es riecht nach Aufbruch und Disruption. Auf was müssen sich mein Team als Ich als InfraManager einstellen? Welche Grundsätze müssen wir beachten
Digitalisierung richtig einsetzen ist entscheidend
Soviel ist klar: Durch die Branche geht ein Ruck. Die Digitalisierung hat voll gegriffen, technologisch sind wir am Fahrweg weit gekommen. Schleifen, Stopfen, Messtechnik und Monitoringprozesse sind mit einem extrem effizienten Datenmanagement verschmolzen, wie ich bereits 2019 in meinem Blog Präventive Instandhaltungsplanung eines Straßenbahnnetzes als Managementaufgabe vorausgesagt habe.
Anything goes. Ich teile die Sicht der ÖBB, dass Digitalisierung vor allem ein New Work Projekt ist, bei dem es um Vernetzung und Effektivität geht.
Wir bei den ÖBB fassen den Begriff aber etwas weiter: Es geht bei uns auch um die Vernetzung von Mitarbeiter:innen, Kund:innen und Partner:innen, die Weiterentwicklung unserer Arbeitsformen sowie unserer internen Zusammenarbeit
Raphaela Pulsinger, Fachassistentin des Konzern Chief Information Officer (CIO)
Auch das habe ich bereits im Februar 2017 im Blogbeitrag Digitalisierung von Zusammenarbeit und Kommunikation festgestellt und seither mit meinem Team konsequent umgesetzt.
Computer können schnell sehr viele Berechnungen machen, Muster erkennen und so uns Menschen im Netzwerk effektivere Entscheidungen treffen helfen. Darum geht’s. Computer sind ohne Kontext, mache lustigen Ergebnisse auf ChatGDP zeigen das ja ganz klar. Zu den Grenzen der KI habe ich ebenfalls 2017 einen kurzen Beitrag verfasst. Über den Stand der Anwendung der KI im Eisenbahnsektor kurz vorher den Beitrag: „Wo stehen wir in der künstlichen Intelligenz im Alltag der Infrastrukturinstandhaltung?“
Der entscheidende Abschnitt in diesem Beitrag ist jener über die technische Lösung der Verortungsfrage von Messdaten. Auch das wurde am Kongress in Salzburg als Schlüsselfrage und Fokusbereich herausgearbeitet.

Herausforderungen richtig verstehen und das Team klar ausrichten
Ich nehme aus dem Kongress zwei wesentliche Stoßrichtungen bzw. Herausforderungen mit, denen wir uns vollständig widmen müssen. Bereitstellung von Kapazität von Fahrweg und Traktion und zwar 24/7.
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ÖBB
Die wirtschaftlich technischen Systemgrenzen der Eisenbahn sind aber mittlerweile fast erreicht.
Andreas Matthä, CEO
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Wissenschaft
Im Bereich der Elektrischen Traktion verfügt die Eisenbahn in Europa über ausreichende Reserven um die angestrebten Leistungssteigerungen zu ermöglichen
Prof. Arnd Stephan, TU-Dresden, Professur Elektrische Bahnen
Unser Infrastruktur-Business befindet sich in einer Bullenphase. Öffentlicher Verkehr ist durch die neuen Zeitkarten (Klimaticket, 49€ Ticket, 365€ Ticket) leistbar für alle geworden und hat zu einem regelrechten Ansturm im Personenverkehr geführt.
Bis 2040 müssen wir in der Infrastruktur bis zu 100% mehr Kapazität auf die Schiene bringen.
ANdreas Matthä in seiner Kenote
Das bedeutet für mein und mich, das Netz der Wiener Linien für bis zu 1,3 Milliarden Fahrgäste im Jahr fit machen zu müssen. Mehr als 1,1 Millionen Stammkundinnen müssen schließlich auf die Öffis setzen können.
Wir müssen zwei wesentliche Aufgaben verfolgen:
- Das Netz um das Linienkreuz U2 und die automatisch betriebene /U5 und die Strassenbahnlinien des Öffipakets erweitern, damit die Belastung gleichmäßig im Netz verteilt wird.
- Das U-Bahnnetz für dauerhaft dichte Intervalle von mindestens 2 Minuten upgraden und in Folge automatisieren und das Straßenbahnnetz für minimale Intervalle ertüchtigen.
Die Herausforderungen dabei sehe ich hier in erster Linie in der Gewinnung neuen Personals um den Abgang der erfahrenen Projektteam kompensieren zu können. Employier Branding um die Menschen für die zusätzlich notwendigen Projekte am Boden zu bringen.
Meine Schwerpunkte dabei:
- Management eines stetig wachsenden und sehr komplexen Portfolios an großen Projekten
- Sicherstellung der Qualifikationen und Kompetenzen meiner Mitarbeiterinnen. Bis 2030 sind rund 1300 neue Mitarbeiterinnen einzustellen!
- Professionalisierung von Vergabe und Vertragsabwicklung
- Gewinnung neuer und innovativer Planer mit nachhaltiger Ausrichtung.
- Professionellen Einsatz von IT und MS365 als Unterstützung der Teams sicherstellen. Wie ich dabei vorgehe habe ich im Blog-Beitrag „Die Herrin im digitalen Haus“ 2017 zusammengefasst.
- Hierarchiefreies Führen im (digital unterstützeten) Netzwerk mit Einbeziehung der Stakeholder. Wie ich das angehe kann man im Beitrag „Worauf Management künftig bauen muss“ nachlesen. Nur so viel sei verraten: Es ist eine jahrelange Knochenarbeit, es geht um Feedback und um ein radikales Einbeziehen der Mitarbeiterinnen.
Was treibt uns aber derzeit massiv an?
Alle Redner in Salzburg waren sich einig: Die Eisenbahn muss künftig rund um die Uhr für Menschen und Güter verfügbar sein. Darin waren sich alle Vortragenden einig. Die Anforderung ist: Hochverfügbarkeit, am besten 24/7/365.
Um dann noch Instandhalten zu können, muss die Infrastruktur redundant ausgelegt werden. Praktisch wird die zuständige Instandhaltungsmanagerin ihre benötigten Zeiten im Gleis sehr gut argumentieren müssen. Entweder gibt es in Zukunft noch noch kurze und von allen Gewerken heißbegehrte Sperrpausen oder die geforderte Instandhaltung muss beispielsweise durch Gleiswechselbtrieb und Umfahrung der – dann mit minimaler Dauer durchgeführten – Instandhaltungsarbeit, vor sich gehen.
Klar ist, wie ich 2021 im Beitrag: „Predictive Maintenance – Wie wir Fahrzeug und Fahrweg zusammenbringen wollen“ herausgearbeitet habe, dass auch die Instandhaltung nur in der Zusammenschau von Rad/Schiene und Betrieb gut gelingen wird und dass es dazu massive und jahrelange Vorleistungen braucht.
Sind unsere Unternehmen aber betriebswirtschaftlich und aus Sicht der Finanzierung für redundanten Anlagen- und Komponentenbetrieb vorbereitet? Ich denke noch nicht. Zu Ende gedacht, heißt es nämlich Effizienz teilweise zu Gunsten von Effektivität und Nachhaltigkeit aufzugeben. Ein längst fälliges Nachziehen der Nachhaltigkeit im ökonomischen Bereich wie ich meine. Die EU-Taxonomie Verordnung könnte hier unterstützend wirken. Schreibt sie doch Nachhaltigkeit ins Stammbuch der Geschäftsführungen und verknüpft sie mit dem Strafrecht.

Um die Klima- und Energieziele der EU zu erreichen, müssen Investitionen in nachhaltige Projekte und Aktivitäten gelenkt werden. Eine klare Definition des Begriffs „nachhaltig“ ist daher erforderlich. Dafür wurde die EU-Taxonomie Verordnung geschaffen. Sie ist das gemeinsame Klassifizierungssystem für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten.
Bundeministerium für Klimaschutz, BMK, Grüne Finanzen: EU-Taxonomie-Verordnung
Welche Fragen müssen wir Inframanager uns noch stellen?
Wir müssen bis zu 24h durchgehenden (automatisierten) Betrieb ermöglichen. Sind wir aus Sicht der Instandhaltung und Entstörung derzeit schon dafür gewappnet? Ich werde dazu im nächsten Beitrag eingehen.
Wir müssen extrem professionelle und schnelle Entstörung anbieten. Haben wir in Zukunft ausreichen qualifizierte Mitarbeiterinnen dazu? Diese Frage wird schwer zu beantworten sein. Ich gehe davon aus, dass wir in Österreich und Europa den – aus heutiger Sicht bestehenden – Bedarf nicht decken können. Wir werden Fachkräfte aus anderen Ländern und Kontinenten brauchen. Meine Überzeugung ist es, dass wir aber ganz stark an extrem effektiven Lösungen arbeiten müssen, die den Fachkräftebedarf auf ein Minimum reduzieren. Das bedeutet: Alles was automatisierbar und logisch entscheidbar ist, muss von Maschinen und Computern erledigt werden. Die Fachkräfte werden zunehmend in die Rolle von Managern optimaler Betriebszustände entwickelt werden müssen. Wie das geht, kann man bei Christoph Mandl nachlesen.

Christoph Mandl zeigt z.B., dass die Siematic Produktion von SIEMENS heute mit der selben Anzahl von (höherqualifizierten) Menschen erledigt wird, der Output sich aber verzehnfacht hat. Die Rollen der Beteiligten sind völlig anders. Technikerinnen sind Fabrik- und Produktionsplanerinnen, die Handwerkerebene die Anforderer und Umsetzer der jeweiligen Produktionsschienen. Sie steuern auch mit Echtzeitkennzahlen usw. LINK
Das geht technisch über dien rein prädiktiven Ansatz der sich mittlerweile zu etablieren beginnt, weit hinaus. Wie kann man sich das vorstellen, welche Änderungen kommen da auf uns als Branche zu? Im nächsten Beitrag werde ich darauf eingehen.