Präventive Instandhaltungsplanung eines Straßenbahnnetzes als Managementaufgabe

„Predictive Maintenance“ ist eine von mehreren Instandhaltungs- Strategien, wobei gerade bei Straßenbahnnetzen erst der richtige Instandhaltungs-Mix zur Optimierung von Kosten und zur Gewährleistung der im jeweiligen Betriebskontext erforderlichen Zuverlässigkeit eines Systems führt.

Kritisch sind dabei heute die dahinterliegenden IT-Systeme die zur Unterstützung der Entscheidungsfindung eingesetzt werden und die Vielzahl an Maßnahmen und deren Varianten.

Soll die verantwortliche Managerin hier Entscheidungen mit monetären Konsequenzen treffen, ist sie massiv gefordert, da potentiell unendlich viele Kombinationen aus Instandhaltungsmaßnahmen möglich sind.

Um hier entscheidungsfähig zu bleiben, braucht sie ein schlüssiges System, in dem sie den Entscheidungsweg einbettet.

Den gesamten Zusammenhang aller Teile eines solchen Asset Management Systems der Wiener Linien zeigt die folgende Abbildung.

Die Bedeutung von Meßdaten

Im Forschungsprojekt UI2P Infraintegrity (BMVIT, FFG; haben wir bereits 2009 – 2011 die rechtlichen und technischen Randbedingen für die jeweiligen Instandhaltungsansätze analysiert und einen Metadatenkatalog erstellt.

Sehr gute Meßdaten zu gewährleisten ist nämlich eine sehr schwierige Aufgabe, die vom später zu fütternden Vorschaumodell nicht getrennt werden kann. Sie steht und fällt mit der Frage der korrekten Verortung von Messdaten entlang des Gleisstrangs. Ich bin darauf schon in meinem Blog Big data and urban rail- uneven partners? An answer. und in KI im Eisenbahnwesen eingegangen. Niels Heuwold hat übrigens eine sehr gute grundlegende Arbeit dazu verfasst.

Vorausschau braucht geeignete Modelle

Der wesentliche Punkt ist dabei, dass es bei vorausschauenden Instandhaltungsansätzen ein Modell braucht um mit den Zustandswerten der Infrastruktur (Fahrweg, Traktion und Signaltechnik) in die Zukunft schauen zu können.

Wege zu «Predictive Maintenance» für Rollmaterial und Infrastruktur. U. Gehrig (P-OP-UE) Leiter CoC Predictive Maintenance SBB. Instandhaltungsarbeiten, Salzburg, 12. April 2018.

Wie die Abbildung zeigt, sind Modelle notwendig, damit wir in der Instandhaltung zu jedem Zeitpunkt zunächst die weitere Zustandsentwicklung vermuten können. Diese ist aber nicht schicksalshaft. Wir können Sie mit gezielten Entscheidungen über die jeweilige Instandhaltungsmaßnahme (Wartung, Instandsetzung), den Zeitpunkt der Maßnahmen und das Ausmaß gravierend beeinflussen.

Um einen optimalen Maßnahmenmix (Instandhaltungsstrategie) zu finden, brauchen wir also ein geschlossenes Modell, in dem wir die SUMME jeweiligen Maßnahmen, also das Szenario auch technisch UND monetär bewerten können.

Lebenszykluskosten und ihre Entstehung

Oft wird für die monetäre Bewertung ein sogenanntes LCC/RAMS Modell vorgeschlagen, also ein Modell das die Kosten über den jeweiligen Lebenszyklus von der Planung bis zum Abriss, bei jeweiligen Randbedingungen (RAMS) ermitteln kann.

RAMS/LCC steht für Reliability (Zuverlässigkeit), Availability (Verfügbarkeit), Maintainability (Wartbarkeit), Safety (Sicherheit) und Life Cycle Costs (Lebenszykluskosten)

RAM/LCC beschreibt somit einen zu lösenden Zielkonflikt. Es soll eine kostenoptimale Systemverfügbarkeit während der Dienstzeit des Systems erreicht werden.

Dieses reicht aber in der Praxis nicht aus, da es streng genommen nur die Kosten der reinen Bereitstellung angibt, ohne auf die tatsächliche Strecken- und Betriebscharakteristik einzugehen.

Weder LCC noch RAMS alleine oder in Kombination geben Auskunft über die optimale Lösung für den Zweck des Systems, nämlich Personen zu befördern. Es braucht also ein konkretes Betriebsprogramm mit Lastkollektiv (MGt) und den grundlegenden Parametern der Fahrdynamik (zul. Verzögerungen) als mindest Input. In meinem Beitrag Digitalisierung und GIS/DB für die urbane Infrastrukturplanung. Wo geht die Reise hin? habe ich dies umfangreicher dargelegt.

Kernelement des Prognosemodells „Gläserner Fahweg“ der Wiener Linien. Auszug aus der Infrastrukturdatenbank (ISDB, GIS/DB) der Wiener Linien.

Wir brauchen also ein LCC/RAMS Modell, das im ersten Schritt alle jeweiligen Maßnahmen für das gesamte Portfolio (Strategieumsetzung) bei gegebenen Randbedingungen (Betriebszeiten, Sicherheitsanforderungen, Möglichkeiten Betrieb für Erneuerung einzustellen) und dem Betriebsprogramm selbst (inkl. Flottenmix) wirtschaftlich bewerten kann, wie dies oben angedeutet ist.

Bei den Wiener Linien haben wir das im Programm Gläserner Fahrweg ab 2014 für die Instandhaltungskosten umgesetzt. Dabei wurde der reine Erneuerungsbedarf auf Basis der drei Faktoren Einbaujahr, Lastkollektiv und Geometrie ermittelt. Eine rückwirkende Bewertung der LCC und Feststellung der damaligen Investkosten wurde nicht gemacht. Der Aufwand ist zu hoch, die resultierenden Werte sind mit Unsicherheiten behaftet und bieten kaum Nutzen. Die Betrachtung bezieht sich also auf die Restliegedauer und anstehende Erneuerungen.

Was ist dann zu entscheiden?

Dann müssen wir aber die Konsequenzen für die weitere Zustandsentwicklung, die neuen möglichen Interventionen, Interventionszeitpunkte und deren jeweilige Kosten bestimmen können. Die folgende Abbildung zeigt die markanten Unterschiede der Zustandsentwicklung (durchgezogene Linie) bei einer Zustandsbasierten (links) und einer präventiven Strategie (rechts). Die Maßnahmen bzw. Aufwände sind strichliert dargestellt.

Planfall 0“ sieht beispielsweise stets Maßnahmen bei Erreichen von Zustand=3 vor. „Präventiv“ zielt auf bestmöglichen Erhalt eines guten Zustandes in jungen Jahren ab: 2. Brückenkolloquium, Beurteilung, Ertüchtigung und Instandsetzung von Brücken, Ostfildern, 21.-22.06.2016

Nun muss schrittweise jede Anlage, jedes Objekt mit einem Verschleißmodell (Schritt 1), einem LCC/RAMS Ansatz (Schritt 2) und einem Zustandsmodell (Schritt 3) hinterlegt sin. Die Schritte müssen nicht zwingend hintereinander gesetzt werden.

Das ist allerdings schon für das Gleis aufwändig und hat bei den Wiener Linien ca ein Mannjahr für den Erstentwurf 2014 gebraucht. Bei den Hoch- und Tiefbauobjekten ist es noch viel aufwändiger, hier muss man beim Zustand wohl zunächst von groben Kategorien des Zustands (Schulnoten, DIN 1069) ausgehen. Traktion, Elektro-, Maschinen und Signaltechnik haben stärker formalisierte Bewertungsschemen, sind also „einfacher“ zu bewerten.

Was ist nun zu tun?

In der Praxis ist allerdings nie soviel Geld vorhanden, wie ein theoretisch optimiertes Portfolio kosten würde.

Der Ausweg aus diesem Dilemma besteht nun darin, dass alle modellhafte Unterstützung und die Möglichkeiten der Digitalisierung nur als Reduktion der Komplexität der Aufgabenstellung zu verwenden ist und nicht als Entscheidung selbst. Das heißt, dass aus einer nicht beherrschbaren Fülle an möglichen Maßnahmen, sinnvolle und wirtschaftliche Kombinationen gefiltert werden ÜBER DIE zu entscheiden ist.

Die Bewertung DIESER wenigen Maßnahmenbündel hinsichtlich praktischer Relevanz, Umsetzbarkeit (personelle Bedeckung) und sinnvoller Finanzierbarkeit (optimale Budgetgröße) MUSS dann wieder dem Menschen unterliegen.

Nur der Mensch kann die notwendigen Kontexte kennen und intuitiv und mit Expertise verknüpfen. Hier enden die Möglichkeiten der digitalen Unterstützung und es beginnt der Primat des menschlichen, die Domäne des neuen Managements.

Auf letzteres bin ich vor allem in meinen Beiträgen Worauf Management künftig bauen muss, Netzwerkorganisation, Kommunikation und digitale Tools. Eine Gesamtschau, Die Herrin im digitalen Haus eingegangen. Die Frage des Nutzens neuer Technologien habe ich in Digitalisierung von Zusammenarbeit und Kommunikation und in Ist da jemand? Wem soll Digitalisierung eigentlich nutzen?

Die Rolle digitaler Tools und mathematischer Optimierung

Die Treiber für die Optimierung der Instandhaltung sind nämlich in der Praxis noch vielfältiger als hier dargestellt und sie ändern sich über die Zeit.

Neue Technologien, insb. der Einsatz höherer Mathematik, Nutzung der Möglichkeiten der Digitalisierung, bspw. durch Schaffen eines «digitalen Abbilds» eines Systems zu dessen jeweiligen Zustands, die genaue Kenntnis der Instandhaltungshistorie etwa durch begleitende CAFM- und Datenbank-Systeme etc. helfen, die sich verändernden Herausforderungen und damit die Systemkomplexität zu reduzieren, sind aber nicht die Lösung an sich.

Die Einführung neuer Technologien, Plattformen und Know-how in eine bestehende Organisation erfordert überdies deren Veränderungsbereitschaft; agile Methoden und die Etablierung eines Innovationsmanagements helfen dabei; die Mitarbeitenden in dieser Transformation mitzunehmen ist wesentlicher Erfolgsfaktor, wie ich in Digitalisierung von Zusammenarbeit und Kommunikation bereits ausgeführt habe.

Hinweis, Beitragsbild von: http://www.bildstrecke.at/Alle/Images/detail/21964?filter=Baustelle&filterCategory=Alle

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