Predictive Maintenance – Welche Chancen bringt es bei Straßenbahn- und Metrosystemen?

PM hat sehr viel Potential, wie ich in meinem Beitrag Predictive Maintenance, wie wir Fahrweg und Fahrzeug zusammenbringen wollen vor einem Jahr dargestellt habe. Zukunftsforscher in der Bahnbranche stellen sich ja eine digitale Welt vor, in der das Verhalten jeder Fahrweg- und Fahrzeugkomponente bzw. -baugruppe erfasst und aufgezeichnet wird. Ich möchte kurz darstellen, wie diese Datenversion des Fahrwegs- und der Fahrzeuge der Wiener U- und Straßenbahn heute und in Zukunft genutzt werden kann, um zukünftige Szenarien zu modellieren, vorherzusagen und optimale Ergebnisse zu ermitteln. Letzteres meint lange Liege- und Verwendungsdauern und punktgenaue Erhaltungsaufwände um gewünschte Zustände von Infrastruktur und Fahrzeugen herzustellen zu können. Was tun wir konkret? Ich gebe einen kurzen Abriss der Problemstellungen und Lösungen der letzten Jahre, was sich bis heute daraus entwickelt hat und wie wir daraus ein präventives und managementrelevantes Instandhaltungsmangement für Rad und Schiene, Fahrzeug und Fahrweg entwickeln werden

Dinge die man beachten muss! Wo beginne ich?

  • Es beginnt mit der Frage: Welches Problem will ich lösen, was MUSS ich dazu wissen?
  • Unser Problem war, vor mehr als 35 Jahren, dass wir keine präzisen Gleisgeometrie- und Schienenverschleissdaten für das gesamte U-Bahnnetz hatten. Deswegen konnten wir nur eine korrektive und nicht besonders wirtschaftliche Instandhaltungsstrategie betreiben. Deswegen beschafften wir einen mechanischen Gleismesswagen von Plasser&Theurer.
  • Die Menge an analogen Daten (Messschriebe) konnte aber nicht gesamtheitlich bewältigt werden. Sie wurde daher überwiegend zur Identifizierung von Geometriefehlern und Tauschkandidaten bei der Schiene benutzt
  • Deswegen beschafften wir Ende der 1990er Jahre zwei Messwagen mit Laserlichtschnittverfahren um bei der Straßenbahn und der U-Bahn auf digital auswertbare Daten umsteigen zu können.

Kleine Kinder kleine Sorgen, große Kinder große Sorgen

  • Das erste Problem auf das wir damit gestoßen sind, hatte eine völlig neue Dimension.
  • Zum einen mussten die Fahrzeuge als Prototypen und Einzelstücke für die U-Bahn und die Straßenbahn zugelassen und in Betrieb genommen werden. Wir hatten keinerlei Erfahrungen dazu.
  • Es gab weltweit kein weiteres System, dass Rillenschienen im eingedeckten Oberbau messen konnte.
  • Es es gab kaum Systeme im Strassenbahnbereich, die für die eng gekrümmten Trassierungen konfiguriert waren (Tiefpassfilterung der Daten usw.)
  • Die Systeme waren auf einen DOS 6.0 Kern aufgesetzt und liefen auf Windows 2000. Das Messsystem selbst war amerikanisch, wir brauchten mehrere Stromwandlungen und handelten uns einen sehr aufwändigen, unzuverlässigen Servicevertrag ein, der nicht zu letzt durch die fehlenden Deutschkenntnisse der Techniker mühsam waren.
  • Das zweite Problem war eines, dessen Lösung uns technologieunabhängig und agil gemacht hat. Die vollautomatische krümmungsbasierte Verortung von Messdaten.
  • Damit konnte in den letzten 20 Jahren die Grundlage für eine zeitreihenbasierte Verschleiss- und Geometrieentwicklung geschaffen werden.
  • Seit 2014 werden diese Messdaten auch in Form einer standardisierten und KI-basierten 25 Jahresvorschau dargestellt. Das Tool dazu ist “Timelines”. Dieses erstellt auf Basis des Ausgangszustands (Neue Schiene) und der bekannten Verschleisswerte, eine Prognose aus sich selbst, in dem es die diskreten Messwerte zu Verschleissabschnitten gruppiert und dabei einzelne Werte auf Basis eines mehrstufigen Bewertungsalgorithmus gewichtet bzw. auf Zuverlässigkeit und Plausibilität “einschätzt”.
  • Die Ergebnisse dieser Prognose werden als „Gläserner Fahrweg“, in standardisierter Form, den Entscheidungsträgern auf Seiten Fahrweg und Fahrzeug berichtet und bilden den Kern der Investitionsprognosen bzw. der Budgets, die dann um weitere Maßnahmen wie Weichentausch und -service, Schienenschleifen, -profilieren, -schweißen und Störungsbehebung am Fahrweg ergänzt werden.

Auf der Fahrzeugseite sind die Entwicklungen ähnlich verlaufen.

  • Händische, analoge Messungen der Radprofile wurden im Laufe der Zeit bei der Straßenbahn – ab 2023 auch bei der U-Bahn – durch digitale Meßverfahren ergänzt. Auch bei den Fahrzeugen liegen dann schrittweise Zeitreihen zum Radreifenverschleiss vor.
  • Die Messergebnisse werden seit einigen Jahren mittels einer selbst-entwickelten Anwendung interpretiert und damit vollautomatisch die vorausschauende und präzise Planung der Abdrehvorgänge und Abstellzeitpunkte der Fahrzeuge vor der Werkstatt vorgenommen.
  • Die tasächliche Freigabe des Vorschlags auf Basis der IST/Soll-Profile und der erforderlichen Abdrehzeit wird aber im zweiten Schritt durch die operativ Verantwortlichen durchgeführt und ggf. angepasst. Damit einher ging eine maßgebliche Reduktion der Abstellzeiten vor dem Abdrehen und ein Wechsel zu einer präventiven Abdrehstratetegie mit häufigerem, sanften, leicht korrektiven Abtrag mit weniger Materialverlust und dem Fokus auf gute Rad/Schiene Passung und optimalen Anfangsverschleiß.

Derzeit arbeiten wir daran, die beiden Systeme als ein gesamtes zu sehen, zu prognostizieren und es auch wirtschaftlich als eines zu bewerten und beplanen. Wie wollen wir das schaffen? In drei Schritten!

  • Fahrwegseitig ergänzen wir im Bereich U-Bahn die Zustandsdaten der Schiene um die Messdaten der Weiche. Dazu rüsten wir zunächst im Rahmen unserer IoT-Strategie die Weiche, ihren Lichtraum und ihre sicherheitsrelevanten Verschleißteile wie Herz, Zungen, Radlenker usw. mit mehreren Sensoren aus, die eine ex-post Zustandsprognose dieser Teile erlauben.
  • Dann nehmen wir eine Verknüpfung der bekannten Fahrwegdaten mit den Daten der Fahrzeugdaten, also zunächst von den jeweiligen Rad- und Schienenprofilen, vor.
  • Konkret werden wir jedes Rad-Profil mit jedem Schienenprofil im Netz hinsichtlich Passung, Entgleisungs- und Verschleissneigung abgleichen. Dazu braucht es aber schon leistungsfähigere Datenbanksysteme sowie hoch effiziente KI-Verfahren für die Mustervergleiche und natürlich Machine Learning im Hintergrund um die Datenmengen im Griff haben zu können und in der Auswertung immer effizienter zu werden.
  • Im dritten Schritt weiten wir die Betrachtung auf komplexere Sensorik aus, mit der auch die Fahrzeug- und Fahrwegeinflüsse besser verstanden und im Hinblick auf Verschleiß und Entgleisungssicherheit verstanden werden können.
  • Dazu werden wir ortsfeste Messstellen einbeziehen und die Messdaten der Überfahrt (Radunrundheit und Polygonalisierung, Körper- und Luftschall, dynamische Kräfte usw.) quasi in Echtzeit benutzen, um die Bewertung der Meßdaten der Weiche und jener des überfahrenden Fahrzeugs in Echtzeit zusammenführen und auf Verschleißen- und Entgleisungsneigung beurteilen und prognostizieren zu können.
  • Damit streben wir an, jedes Fahrzeug in jedem Fahrwegabschnitt hinsichtlich seiner Performance am Fahrweg und der daraus resultierenden Instandhaltungskosten von Fahrzeug und Fahrweg beurteilen und prognostizieren zu können.
  • Als fachlich zuständiger Betriebsleiter nach Eisenbahngesetz und als haftender Prokurist, muss ich -unter allen Umständen, möglichst Tagesaktuell – sichergehen können, dass die gewählten Instandhaltungsstrategien dazu führen, dass das System zu jeder Zeit sicher und wirtschaftlich betrieben wird . Die Lösung dieses Problems braucht KI/ML, IoT und alles was die Digitalisierung hergibt.
  • Zu Beginn braucht sie aber wiederum einen klaren Plan (was will ich wissen, lösen) und die Absicht zunächst jedenfalls alle Daten maximal zu nutzen die man schon hat. Speziell die Fahrzeuge sind hier mittlerweile sehr gut mit Sensorik ausgestattet und bieten uns vertraglich abgesicherte offene Schnittstellen.
  • Der nächste Schritt besteht in sehr sorgfältiger Analyse und dem Verstehen neuer Daten.
%d Bloggern gefällt das: